E-Commerce-Logistik scheint ein angesagtes Thema zu sein. Denn kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer „Durchbruch“ oder eine neue „Revolution“ der Versandhandels-Logistik propagiert würde. Hier drei aktuelle Beispiele:

Shuttl (und deren Derivate)

Shuttl betreibt keinen eigenen Lieferservice. Shuttl fungiert vielmehr als Intermediär zwischen Angebot und Nachfrage. Lokale Lieferdienste können sich auf dem Portal registrieren und sich um Transportaufträge, die lokale Händler einstellen, bewerben. Kunden bzw. Händler bewerten die Qualität der Zustellung, so dass zuverlässige Dienstleister bevorzugt werden.

Emmas Enkel

Einige Supermarktketten und Start-Ups betreiben Webshops im Bereich Lebensmittelversand. Die Zustellung erfolgt in der Regel via Paket. Meistens handelt es sich um abgepackte, selten frische Ware. Emmas Enkel ist ein Düsseldorfer Multi-Channel-Anbieter: es gibt ein Ladenlokal und einen Webshop. Versendet wird auch Tiefkühlkost, Obst und Gemüse.

Car Drops

Das belgische Start-Up Car Drops testet gerade die Lieferung von Waren in den Kofferraum von parkenden Autos, die freilich zur Ortung und Öffnung speziell umgerüstet werden müssen. Das Projekt befindet sich gerade in der Testphase.

Keine flächendeckende Lösung bei den Start-Ups

Die meisten solcher Ansätze haben eine Gemeinsamkeit: sie funktionieren nicht. Jedenfalls nicht, wenn man in Buxtehude statt Sankt Georg wohnt. Oder in Krefeld statt in Bilk. Oder in Oberschleißheim statt in der Maxvorstadt. Anders ausgedrückt: sie funktionieren nur in großen Städten.

Wie viele Menschen tatsächlich nicht erreicht werden, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Statistik unterscheidet etwa nach Agglomerationsräumen oder nach Verwaltungsgrenzen. Nach der letzten Metrik leben im Jahr 2004 in Deutschland in 82 Städten über 100.000 Einwohner ca. 25 Mio. Menschen. Das entspricht rund 30 % der Gesamtbevölkerung.

Das ist eine signifikante Größe, so dass die genannten Dienstleister durchaus ihre Berechtigung haben. Die Prozentzahl bedeutet aber auch, dass 70% der Menschen von Shutl, Car Drops & Co. nicht erreicht werden. Das geht nach meinem Verständnis am Anspruch des E-Commerce vorbei, wenn man sich vor Augen führt, dass man eine Website von nahezu jedem Winkel der Erde erreichen kann. Zumindest de facto von jedem deutschen Haushalt.

Doch was funktioniert flächendeckend? Next Day-Delivery und auch der Lebensmittelversand – wenn Sie es selbst abholen.

Next Day Delivery

Next Day Delivery, also die Zustellung einer Sendung am nächsten (Werk-)Tag ist der Ansatz, der sich wahrscheinlich flächendeckend etablieren lässt – jedoch nicht ohne Investitionen.

Stellen Sie sich vor, Sie betreiben ein Warenlager in München. Das Paket, das Sie dort aufgegeben, erreicht den Kunden in Hamburg nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit am nächsten Tag. Es sei denn, Sie betreiben ein weiteres Lager in Norddeutschland.

Oder eben nur ein einziges in der geographischen Mitte Deutschlands. Nicht umsonst betreiben große Lokistikunternehmen Standorte in der Nähe von Bad Hersfeld (Thüringen ist aufgrund der vorhandenen Flächen und des geringeren Lohnniveaus besonders interessant). Was hier in die Hubs der großen Paketversender eingesteuert wird, ist mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit am nächsten Tag bei einem Empfänger aus Gesamtdeutschland.

Wenn Sie sich für Versandhandelslogistik interessieren, dann fahren Sie einmal auf der A4 von Bad Hersfeld nach Erfurt. Sie sehen große Logistikkomplexe direkt von der Autobahn aus. Wenn Sie schon dabei sind, fahren Sie durch bis Leipzig und sehen Sie sich das neue Versandzentrum von DHL an. Sie erhalten dann eine Vorstellung davon, was für ungeheure Investitionen getätigt werden, damit Next Day Delivery für viele Endverbraucher zum Quasi-Standard wird.

Und sie werden ein Gefühl dafür bekommen, wie geradezu rührend die lokalen Bemühungen der oben beschriebenen Dienstleister dagegen wirken und wie schwer es ist, eine flächendeckende Same-Day-Zustellung zu etablieren.

Same day? Amazon investiert derzeit massiv in eine Infrastruktur von Warenlagern entlang der Agglomerationsräume. Eine taggleiche Zustellung werden wir bundesweit wahrscheinlich zuerst dort erleben.

Lebensmittelversand bundesweit?

Man liest oft, wie gut der Lebensmittelversand etwa in der Schweiz funktioniert. Die Verhältnisse bei den Eidgenossen scheitern aber an der deutschen Realität. An wie vielen Supermärkten fahren Sie auf dem Weg von der Arbeit nach Hause vorbei? In meinem Fall sind es mehr als fünf. Die Supermarktdichte in Deutschland ist so hoch, wie Kühllogistik kostspielig ist. Wir dürfen nicht übersehen, dass wir über ein vergleichsweise margenarmes Segment sprechen.

Der pragmatische Ansatz ist wohl ein Drive-Through-Konzept, wie es Rewe derzeit austestet: Sie bestellen Ihren Einkauf online, fahren am Supermarkt vorbei und ein Mitarbeiter stellt ihnen die fertig gepackten Einkaufstüten direkt in den Kofferraum. Ergänzend können Lieferungen zusätzlich lokal von der jeweiligen Filiale organisiert werden, so dass auch Rentner oder Menschen ohne Auto erreicht werden. So kann die vorhandene Logistik-Infrastruktur weitgehend genutzt werden.

Freilich gibt es dabei einige Probleme zu lösen. Etwa die Verfügbarkeitsanzeige von Artikeln im Abhol-Markt. Ansonsten gäbe es sehr unschöne Quertransporte zwischen den Filialen. Spaßig wird auch das Abwiegen von exakt 1000 Gramm Strauchtomaten oder die Auswahl wirklich schöner Exemplare durch den Mitarbeiter.

Aber es ist wahrscheinlich realisierbar. Flächendeckend.

hat als Informatiker das Thema E-Commerce zunächst von der technischen Seite kennen gelernt und Shop-Lösungen, insbesondere für Start-Ups, realisiert. Als Gründer von allmyTea, Shop-Betreiber und E-Commerce-Consultant kennt er viele Facetten des E-Commerce auch aus der selbständigen Praxis. Bis Anfang 2012 hat Andreas Unger den Aufbau des Fulfillment-Bereichs in der Niederlassung Gotha des Logistikdienstleisters Rhenus mitgestaltet. Seit März 2012 ist er für Fressnapf tätig und kümmert sich dort um überwiegend strategische E-Commerce Projekte.

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