Bis vor kurzem war das Internet in Sachen Lebensmittel kleineren, spezialisierten Shops (wie z.B. olivenoel.com, chocolats-de-luxe.de) oder innovativen Mix-Services (my-muesli.com oder allmytea.de) vorbehalten – zumindest in Deutschland. In der Schweiz, in Frankreich, Spanien und vor allem Großbritannien sieht die Branche ganz anders aus – dort gibt es zum Teil schon seit Beginn des neuen Jahrtausends gut laufende Online-Supermärkte im Vollsortimentsbereich. Doch auch in den deutschen Markt kommt plötzlich wieder Bewegung: amazon.de steigt in den Lebensmittelhandel ein.

Während man bei Otto noch darüber nachdenkt, macht amazon.de mal wieder Nägel mit Köpfen: in Kooperation mit etwa 60 Marketplace-Anbietern verkauft der Online-Shopping-Riese nun auch Lebensmittel – bislang in einer Beta-Phase.

Ob der deutsche Markt inzwischen soweit ist? Anfang des Jahrtausends scheiterte Otto mit seinem Versuch, zum Lebensmittel-Pionier im deutschen Online-Handel zu werden – mangelndes Interesse seitens der Verbraucher führte schnell zum Aus des Projekts. Doch in den letzten Jahren hat sich einiges getan, und auch in Deutschland gibt es inzwischen ein paar Vollsortiments-Anbieter im Lebensmittelbereich, z.B. froodies.de oder food-shop24.de. Den Massenmarkt erreichen diese jedoch lange nicht.

Auch die Großen des Lebensmittel-Einzelhandels haben sich bisher noch nicht so recht an das Thema herangetraut – die bisherigen Annäherungsversuche machen einen eher halbherzigen Eindruck. Edeka betreibt unter edeka24.de einen Online-Shop nur für haltbare Lebensmittel, Kaiser’s Tengelmann bietet für München und Berlin einen Lieferservice an und die REWE Gruppe testet in Köln-Klettenberg den ersten Drive-In-Supermarkt (www.rewe-express.de): online einkaufen und im Markt nur noch abholen. Damit versucht sich der Kölner Handelsriese an einem Geschäftsmodell, das Logistik- und Kühlprobleme geschickt außen vor lässt – und in Frankreich bereits zum flächendeckenden Erfolgskonzept geworden ist. Dort boomt der Lebensmittelhandel via Internet regelrecht – und das häufig ohne Lieferservice.

Denn bei unseren Nachbarn haben sich Drive-In-Supermärkte wie z.B. Chronodrive eine treue Stammkundschaft erarbeitet – zahlreiche grenznah gelegene Märkte zählen auch deutsche oder belgische Käufer zu ihren Kunden. Unter den Labels Chronodrive und Auchan Drive betreibt die Supermarktkette Auchan inzwischen über 40 Drive-In-Märkte in ganz Frankreich, 10 weitere sind aktuell geplant. Konkurrent E. Leclerc hat aktuell beinahe 50 Drive-In-Märkte im Einsatz bzw. im Aufbau. Auch hier werden die vielfältigen Möglichkeiten des Online-Handels ausgetestet, ziemlich alle großen Vollsortimenter bieten flächendeckend irgendeine Form von Online-Service an oder betreiben zumindest ein paar Testmärkte. Während Carrefour alle Bestellungen nach Hause liefert, setzen Casino und Système U (mit über 200 Packstationen am weitesten verbreitet) auf die freie Wahl zwischen Abholung im Supermarkt oder Heim- Lieferung.

Eine ähnliche Entwicklung nimmt auch der spanische Markt. Die großen Supermarkt-Ketten wie Hipercor, Eroski, Mercadona oder Carrefour sowie die größte spanische Kaufhauskette El Corte Inglés bieten sämtlich Lieferung nach Hause oder Abholung (oder beides) an. Zum Marktführer hat sich aber in kurzer Zeit Caprabo (mit Sitz und Schwerpunkt in Katalonien) gemausert: 324 Läden liefern Lebensmittel nach Hause, in 19 Filialen kann wahlweise auch abgeholt werden. Knapp 5% des spanischen Lebensmittel-Einzelhandels wurden im Jahr 2008 über das Internet abgewickelt, Tendenz steigend.

Der am stärksten entwickelte Markt in Sachen Online-Lebensmittel-Handel findet sich nach wie vor in Großbritannien. Dort sind die großen Supermarktketten bereits lange eingestiegen, Tesco, Asda, Waitrose und Sainsbury’s bieten größtenteils Lieferservice, seltener auch Abholung im Markt an. Einer der Marktführer geht dabei bereits seit 2002 seinen ganz eigenen Weg und bringt mit einem konsequent ausgerichteten Konzept einen völlig neuen Aspekt in die Wahrnehmung des Online-Lebensmittelhandels mit ein: Ocado heißt die Erfolgsgeschichte von der Insel und versteht sich als „grüne Alternative zum traditionellen Lebensmitteleinkauf“. Während die Konkurrenz in ganz Europa maßgeblich auf den Faktor Zeitersparnis abzielt, stellt Ocado die ökologischen Vorteile des Online-Einkaufs in den Vordergrund seiner Marketing- Kampagne: weniger Verkehr, „grüne“ Lieferwagen, weniger Nahrungsmittelabfälle etc. Ein bedeutender Faktor im grünen Konzept: im Unterschied zu den in der Regel an den Supermarktvertrieb „angehängten“ Konkurrenzangeboten liefert Ocado aus einem zentralen Lager anstatt aus dezentralen Märkten, was nicht nur ein deutlich effizienteres Handling der Bestellungen möglich macht, sondern auch Kosten und Energie für den hochaufwendigen Betrieb von Supermärkten spart. Im Jahr 2008 lag der Anteil des Online-Handels am Lebensmittelmarkt in Großbritannien bei 2,3% und kommt auf ein Gesamtvolumen von 2,9 Milliarden britischen Pfund – oder einen Pro-Kopf-Umsatz von 54 €.

Damit steht England tatsächlich allein auf weiter Flur – mit etwas Abstand gefolgt von der Schweiz. Hier machten LeShop.ch und coop@home 2008 einen Pro-Kopf-Umsatz von immerhin 15 €. Dass das Potenzial mit einem Online-Shop alleine noch lange nicht ausgereizt ist, haben beide verstanden: seit kurzem bieten sie z.B. kostenlose iPhone Apps für mobiles Shopping an. Interessant aus Logistik-Sicht: coop@home liefert teilweise, LeShop ausschließlich per Post, hat also keinen eigenen Lieferdienst am Start.

Ein Thema, zahlreiche Ansätze und völlig unterschiedlich funktionierende Märkte – der Online- Handel mit Lebensmitteln wird weiterhin spannend bleiben. Ob amazon.de über die Beta-Phase hinaus am Ball bleiben wird? Oder ob sich auch in Deutschland eher Drive-In-Supermärkte oder vielleicht ein hochwertiges, auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Konzept wie Ocado durchsetzen kann? Ohne ein am Kundenbedarf orientiertes Konzept wird aus dem milliardenschweren Potenzial wohl kaum ein funktionierendes Geschäftsmodell werden. Bleibt nur: abwarten – oder vielleicht selber machen?

Ganz zum Schluss und nur mal aus Interesse ein kurzer Blick über den Teich – wie sieht es denn im Mutterland des Online-Shoppings mit den Lebensmitteln aus? Auch in den USA gibt es natürlich Angebote, seit 2002 bereits beliefert freshdirect.com die New Yorker, efooddepot.com liefert sogar weltweit. Über einen Pro-Kopf-Umsatz von 2 € pro Jahr kommt der Markt aktuell jedoch nicht hinaus…

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mehrsprachig handeln

ist Expertin für Internationalisierung im eCommerce. Mit ihrem Unternehmen mehrsprachig handeln unterstützt sie vor allem Online-Shops bei ihren Internationalisierungsprojekten - von der Lokalisierung bis zur Qualitätssicherung. Im mehrsprachig handeln-Blog und als Fachautorin schreibt sie über die Themen Internationalisierung & Auslandshandel, IT & eCommerce.

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